Märchen des Monats Juli

Der kluge Bastelicaner
Ein Bastelicaner hatte eine Frau und eine Mühle. Letztere trug ihm nichts ein und erstere, man findet das selten, gab ihm immer Recht. Eines Tages sprach er zu ihr: »Ich werde meine Mühle verkaufen; sie wirft uns beinahe nichts ab, während, wenn wir eine Kuh hätten, uns die Milch unsere Nahrung und das Kalb, das wir alle Jahre erhalten würden, Geld liefern würde.« – »Du hast Recht«, erwiderte die Frau, »verkaufe die Mühle.«
Der Müller gab sie um sechshundert Franken her und kaufte um dieses Geld am benachbarten Jahrmarkt, der eben stattfand, eine Kuh. Er kehrte nach Hause zurück und da er schon ermüdet war, dachte er sich: »Ich bin doch ein Dummkopf, dass ich eine Kuh kaufte. Sie kann mich mit ihren Hörnern stoßen und mir den Bauch aufschlitzen. Ein Pferd wäre doch besser; ich könnte darauf reiten, würde nicht müde werden und es würde nicht viel fressen, denn ein wenig Heu genügt ihm.«
Gerade kam ein Mann mit einem Pferd vorbei. – »Willst du dein Pferd gegen meine Kuh vertauschen?« – »Gerne.« – Der Müller bestieg das Pferd. »Das Tier ist wohl nicht erster Güte,« sagte er sich, »aber ich habe mich nicht zu beklagen.«
Nach einigen Stunden dachte er sich: »Ich kann doch nicht immer auf dem Pferde bleiben. Zu was wird mir das Reittier nützen, wenn ich zuhause bin? Eine Ziege würde mir entschieden viel bessere Dienste leisten, gibt sie doch morgens und abends Milch und wirft von Zeit zu Zeit Kitzlein. Und dann braucht sie nicht viel zu fressen, einige Disteln, die sie am Wege findet, genügen ihr.«
Da gerade ein Schäfer vorbeitrieb, so rief ihm der Müller zu: »Willst du mir für mein Pferd eine Ziege überlassen?« – »Ja«. – »Lässt du mich aber auswählen?« – »Du kannst dir nehmen, welche du willst.« – Der Bastelicaner suchte sich die fetteste aus und trabte dann seinen Weg dahin.
»Was aber zum Teufel,« sagte er sich bald, »mache ich denn mit einer Ziege? Sie sind doch launenhafte Tiere und sie kann sich eines Tages beim Herabstürzen von einem Felsen den Hals brechen. Ich werde sie verkaufen und ich glaube, ich mache dabei keinen schlechten Tausch.« –
Ein Mann ging gerade vorüber. – »Willst du mir meine Ziege abkaufen?« – »Mit Vergnügen.« – »Was gibst du mir dafür?« – »Zwanzig Franken.« – »Die Sache ist gemacht.«
Der ehemalige Müller setzte sich wieder in Bewegung. »Wie,« dachte er nach einiger Zeit, »ich habe meine Mühle um zwanzig Franken verkauft? Es ist doch besser, wenn ich mir eine Henne mit Küchlein kaufe. Die Henne legt jeden Tag Eier und hie und da kann ich ein Hühnchen schmausen.« –
Währenddem kam er zu einem Meierhof. – »He, Bäuerin, wie viel kostet eine Henne samt Küchlein?« – »Zwanzig Franken.« – »Das ist schön, ich habe gerade soviel.« Und er gab alles her. Es war jedoch nicht leicht für ihn, eine Schar Küchlein fortzubringen.
»Dass sie der Teufel hole! Die Küchlein und ihre Mutter foppen mich. Aber, wartet nur, gleich werde ich euch los sein.«
Als er zu einem Gasthof kam, schlug er dem Wirt vor, ihm Henne und Küchlein abzukaufen. – »Gern«, sagte dieser, »aber da ich kein Geld habe, so werde ich dir einen schönen Sack voll Erdäpfel dafür geben.« – »Hole den Sack! Der wird mir wenigstens nicht davonrennen.«
Mit dem Sack am Rücken setzte unser Müller seinen Weg fort. Da die Erdäpfel jedoch schwer waren, so wurde er bald zornig und warf sie, unter Fluchen und Schreien, in einen vorbeifließenden Bach.
Endlich kam er nach Hause. – »Wo ist die Kuh?« fragte ihn seine Frau. – »Ich habe sie gegen ein Pferd umgetauscht.« – »Wo hast du es?« – »Da uns das Pferd nicht immer nützen würde, so habe ich dafür eine schöne, fette Ziege, die uns viel Milch geben wird, eingetauscht.« – »Wo hast du sie denn? Ich sehe sie nicht!« – »Ich habe sie verkauft, denn sie könnte sich eines schönen Tages den Hals brechen.« – »Da hast du Recht gehabt. Aber wo hast du das Geld?« – »Welche Frage? Hast du nicht gern frische Eier? Ich habe eine Henne mit Küchlein damit gekauft.« – »Wie, du hast sie bis hierher geführt?« – »O, woher denn, das konnte ich nicht. Ich habe sie gegen einen Sack Erdäpfel umgetauscht.« – »Hast du sie schon in den Keller gegeben?« – »Frau, ich hielt dich für klüger. Weißt du denn nicht, dass Erdäpfel schwer sind? Ich brach unter der Last zusammen und hatte kaum mehr die Kraft, sie in einen Bach zu werfen.« – »Meiner Treu, das hast du gut gemacht. Du wirst müde sein!«
Und Müller und Müllerin gingen ohne zu essen schlafen.
»Ich wünsche allen jungen Männern eine solche Frau, wie die Müllerin; aber Gott behüte alle jungen Mädchen vor einem Bastelicaner!«

Märchen des Monats Juni

Es war einmal ein König, der lebte sehr glücklich mit seiner schönen, tugendsamen Gemahlin; ein einziges Söhnlein war ihnen vom Himmel geschenkt, und dieses war die Lust der Eltern. Doch nicht nur in des Königs hoher Familie war es so friedsam, sondern in seinem ganzen Lande; überall, auch in dem kleinsten Dörflein war Verdienst und Wohlstand und das Volk war zufrieden und freundlich.
Einer weisen, milden Regierung entblüht Ordnung; Ordnung aber bringt Wohlstand, Wohlstand bringt Zufriedenheit und Zufriedenheit bringt Freundlichkeit. Der gute König musste jedoch ein gar herbes Schicksal erfahren; seine liebe Gemahlin starb und ließ ihn einsam zurück, mit dem nun mutterlosen Prinzen.

Tief trauerte der König und das ganze Land mit ihm. Auch das kleine fromme Kindesherz des Prinzen war sehr betrübt, denn es hatte mit aller kindlichen Liebe an seiner Mutter gehangen. Auf dem Sterbebette hatte sie ihn gesegnet und ihn noch scheidend zu allem Guten ermahnt, zum treuen Glauben an Gott, zur Liebe und Milde gegen alle Menschen. "Und wenn du ein Jüngling worden bist", waren ihre letzten Worte, “so wähle dir nur ein Mägdlein frommen, guten Herzens zu deiner Gemahlin und ehre das Andenken deiner Mutter und ihrer letzten Worte".

Dieses hatte einen tiefen Eindruck in das weiche Herz des Knaben gemacht, immerdar gedachte der Prinz seiner sterbenden Mutter, und es kam ihm oft vor, als umschwebe sie ihn und lächle ihm selig zu. So wuchs der Prinz in frommer Sitte empor und wurde ein schöner, blühender Jüngling.

Doch das königliche Vaterauge war verblendet worden von einer fürstlichen, listigen Dame, die den Herrscher gar bald mit ihren erkünstelten Reizen also schlau zu fesseln wusste, dass er ihr nachgab und sie ihn völlig beherrschte. Bald fand das glänzende Hochzeitgelage statt. Der bejahrte König, sonst so gut und milde, war zum alten Toren geworden und hatte sein Leben an ein listiges, böses Schlangenherz gekettet; nur zu bald musste er die bittere Frucht seiner Torheit kosten. Das böse Weib stiftete allenthalben Unheil an, erregte den Vater wider den Sohn, den Sohn wider den Vater und die Herrschaft wider die Diener, und übte ihre frevle Verblendungskunst immer fort, so dass sie die Herzen alter und junger Männer für sich entflammte. Eine kurze Zeit, und das reuevolle Leben des Königs hatte geendet.

Der Prinz wurde König und beherrschte das Volk mit der Klugheit und Milde, die überall zum wahren Wohle des Landes dient. Aber an ihm übte die arge Stiefmutter ihre Künste vergebens, er verachtete sie im Stillen und suchte sich immer in heilsamer Entfernung von ihr zu halten.

Da wünschte das Land, dass der jugendliche König sich vermähle; auch er in seinem Innern trug er das stille Verlangen, sein Glück mit einer würdigen Jungfrau zu teilen, aber nicht Stand und Reichtum oder eine Krone sollten diejenige schmücken, die er sich wählen wollte, sondern ein gutes, frommes Herz, wie es seine sterbende Mutter gewünscht. Und ein solches hatte er gefunden, zwar nur das eines armen, schlichten Gärtnermädchens, das aber voll war von reiner Liebe und frommem Glauben.

Diese Jungfrau war dem Königssohn bald so innig befreundet, dass der Jüngling ihr zu Füßen sank und ihr ewige Liebe und Treue schwur. Zärtlich und in Tränen schmiegte sich das liebliche Mädchen an die Brust des Jünglings und sprach:
"Ach, du darfst mich ja nicht zur Gemahlin nehmen, siehe ich bin arm und keine Prinzessin."
"Sei ruhig, lieb Herz", sprach der Jüngling, “du sollst meine Gemahlin und Königin werden, du und keine andere."

Der Wunsch nach der Vermählung des Königs wurde lauter und dringender; von allen Seiten her begannen die Väter fürstlicher Töchter dem König Vorschläge zu machen. Die böse Stiefmutter wähnte den so jungen König gänzlich unter ihrer Herrschaft, dass sie sich anmaßte, eine Gemahlin für ihn zu wählen.
Sie ordnete glänzende Festlichkeiten an, wozu viele Prinzessinnen geladen waren, die reich geschmückt und voll Hoffnung zur Schau kamen. Acht Tage hatten die Feste schon gewährt, und der König hatte noch keine Prinzessin zur Braut erwählt und hatte auch alle Vorschläge seiner Stiefmutter unbeachtet gelassen.

Am neunten und letzten Festtag sollte sich's entscheiden, so hatte der König selbst verheißen. Die Stiefmutter glaubte voll Zuversicht, dass der König in ihre Wahl eingehen werde, denn sie hatte eine hohe Prinzessin, zwar hässlich von Gesicht und Gestalt, aber unsäglich reich an Gut und Geld für ihn auserwählt. Ein glänzender Ball sollte die Feste beschließen, und diesmal waren alle Prinzessinnen doppelt mit Juwelen und Schmuck beladen, da eine jede glaubte, den Sieg davonzutragen. Doch wie alle in gespanntester Erwartung dem König entgegen harrten, tat sich die Flügeltüre auf, und der König trat lächelnd mit seinem lieblichen Gärtnermädchen herein, die so sittig und bescheiden in einem weißen Kleidchen und völlig ohne Schmuck erschien.

Da sprühten manche Augen im Kreise der Prinzessinnen voll Ärger und Wut, doch die der Stiefmutter rollten am wildesten und schleuderten grimmige Blitze nach dem glücklichen Liebespaar. Jetzt nahten sich diese beiden der königlichen Stiefmutter, die in der Mitte des Saales, von boshaft lächelnden Prinzessinnen umgeben, weilte; und der König sprach mild und freundlich:

"Hohe, verehrte Mutter, hier bringe ich Euch meine liebe, fromme Braut und bitte mit ihr um Euren Segen."
Aber die Dame sprach voll Zorn und Wut: "König, solltet Ihr also Eurer Ehre vergessen und eine gemeine Dirne freien? O schämet Euch, mich so tief zu kränken und um meinen Segen für eine schlechte Magd zu bitten." Und sie wandte ihm den Rücken zu und schritt voll Grimm und Bosheit ins Nebengemach.

Aber der König folgte ihr nach und sprach mit einem strengen, drohenden Ernst:
"Frau, das Wort soll Euch schwer wiegen. Wahrlich, ich will Euch zeigen, dass dieses arme Mädchen würdiger ist, Königin zu heißen, als Ihr und alle eitlen Prinzessinnen. Eine Kunst habe ich einstmals von einem alten Einsiedler erlernt: die Menschen zu verzaubern und ihre Herzen zu prüfen, ob sie gut oder böse sind. Schwört, hohe Frau, mir dann die Schönste zu wählen, wenn alle hier anwesenden Jungfrauen verzaubert, in Gestalt einer Blume, stehen, so will ich Euch gehorsam sein. Aber trifft Eure Wahl dann mein armes Gärtnermädchen, so falle der Zauber auf Euch, dass Ihr ewig darinnen verstrickt bleibet.

Der König schwieg; und die stolze Dame grinste voll Zuversicht ob ihres Sieges. "Ach mein hoher Künstler," entgegnete sie, “verzaubert immerhin alle anwesenden Jungfrauen, ich will Euch die Schönste wählen und bin gewiss, dass ich nicht Eurer Drohung teilhaftig werde. Eure seltsame Laune soll mir ein ergötzlicher Scherz sein". Und sie ließ sich auf einem samtenen Sessel nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Da breitete der königliche Jüngling ein großes weißes Tuch aus, führte schweigend eine Prinzessin um die andere in das Nebengemach und verhüllte sie damit, wo sie alle sobald einschlummerten. Dann schnitt er einer jeglichen das Herz aus. Zuletzt auch seinem lieben Gärtnermädchen. Der Ballsaal verwandelte sich in eine grünende Gartenflur, von einem goldenen Zaun umschlossen, von singenden Vögeln durchflattert. Da vergrub der Jüngling die Herzen und sprach bei einem jeglichen: "Blühe, blühe, blühe aus der Erde auf! Bist du rein, Wirst du hold gedeihn. Aber treibe wilde Dornen, Wenn du böse bist"
Bald keimten und sprossten die Zweiglein und Blättlein empor. Wilde Dornensträucher wuchsen rasch aus der Erde; nur hier und da erschloss sich eine farbige Blüte.

Aber in des Gartens Mitte stand ein Blütenstengel dessen zartem Kelch entfaltete sich eine herrliche Rose, eine Rosenkönigin. Glänzender Tau träufte auf sie nieder und das grüne Laub schmiegte sich zärtlich an die Blüten. Jetzt kam eine Schar Nachtigallen geflogen, welche die Rosenkönigin umkreisten und sangen:

"Holde Rose, holde Rose,
hehre Blumenkönigin!
Du die Schönste unter allen,
Du die reinste unter ihnen,
sollst die ganze Welt bezwingen,
mit der frommen Liebe Sinn.
Hehre Rosenkönigin!"

Aber um die Dornensträucher flogen schwarze Raben und krächzten auch ihr Lied.
"Wilde Dornen, wilde Dornen,
schwarz wie unser Nachtgewand.
Sollt am besten uns gefallen
mit den tausendfachen Krallen.
Sollet dienen in der Höllen,
in der ewigen Pein, zum Brand.
Schwarze Dornen, Nachtgewand."

Da führte der König die stolze Dame herein in den Garten, auf dass sie die schönste der Blüten für ihn wähle, und als sie die zauberschöne Rose sah und die Nachtigallen singen hörte, die über ihr im Kreise flatterten, als sie das liebliche Liedlein vernahm - da stand sie beschämt und war von der Rose zaubervoller Macht ergriffen und gerührt, ihr war, als fühle sie eine warme Liebe, und sie gedachte in diesem Augenblick reuevoll an ihre verübten Bosheiten und Ränke.

Und als sie nun die Dornensträucher sah, darüber die schwarzen Raben ein Höllenlied krächzten, da überlief sie eine Angst, ein Todesgrauen; und sie sprach:
"Mein Königssohn, ich muss Euch die holde Rose wählen, sie ist die Schönste." Nun bewegten sich alsbald der Rose Zweige und Blätter und Blüten und verschmolzen sanft zum Körper eines lieblichen Mädchens, das kein anderes war, als das fromme Gärtnermädchen.
Und die junge Frau schien noch schöner und bescheidener als zuvor. Aus den anderen Blumen und Dornensträuchern bildeten sich wieder Prinzessinnen, die wie aus einem schweren Traum erwachten.

Aber des Königs Stiefmutter war vor Scham und Reue niedergesunken und lag in Betäubung. Und die schwarzen Rabenvögel hackten ihr das Herz aus und sie wurde zu Stein, von wilden Dornen umstarrt. Die Prinzessinnen eilten scheu davon, wurden aber besser und demütiger in ihren Herzen.

Der König aber lebte glücklich und fromm mit seiner Gemahlin, dem Gärtnermädchen, und des Himmels Segen war mit ihnen.

Die Rosenkönigin Märchen von Ludwig Bechstein